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Die drei Schritte zur Freundschaft zwischen Pferd und Mensch – und warum Kontrolle dabei keine Rolle spielt

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Die Verhaltensforscherin Dr. Emily Kieson hat gerade ein wichtiges Paper veröffentlicht. Dabei geht es um einen wissenschaftlichen Blick darauf, wie Beziehungen zwischen Pferden und Menschen entstehen – und warum viele Praktiken der Pferdewelt daran vorbeigehen.

Wir alle wünschen uns eine tiefe, vertrauensvolle Verbindung zu unserem Pferd. Doch was bedeutet das eigentlich? Und warum fühlen sich so viele Ansätze, die uns „mehr Bindung“ versprechen, letztlich doch irgendwie leer an? 

Die Verhaltensforscherin Dr. Emily Kieson, die ich seit Jahren fachlich und persönlich sehr schätze und mit der ich auch immer wieder gerne zusammenarbeite, hat dazu kürzlich ein wichtiges Paper veröffentlicht: 
„Interspecies Relational Theory“. Den Link zum Paper findest du hier. (Das Paper ist auf Englisch und wissenschaftlich formuliert, aber ich habe dir hier die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst.)

Es wirft einen neuen, wissenschaftlich fundierten Blick darauf, wie Beziehungen zwischen Mensch und Pferd tatsächlich entstehen, weil es die Perspektive des Pferdes miteinbezieht. Dadurch zeigt es auch, warum viele gängige Praktiken der Pferdewelt an den Bedürfnissen der Pferde und deren Verständnis einer freundschaftlichen Beziehung vorbeigehen.

Die große Verwirrung um Bindung

In der Pferdewelt wird viel von „Verbindung“ und „Vertrauen“ gesprochen. Doch oft geht es dabei eigentlich um Funktionalität und Kontrolle:

  • Das Pferd „muss lernen, mir zu vertrauen“, damit es XYZ mitmacht.

  • „Respekttraining“ wird als Beziehungsaufbau verkauft, ist aber Gehorsamstraining.

  • Wir bewerten Vertrauen danach, ob das Pferd tut, was wir wollen.

  • „Harmonie“ wird oft als maximale Kontrolle über das Pferd verstanden.

Du ahnst schon, dass hier ein Missverständnis liegt:
👉 Echte Verbindung bedeutet nicht, dass dein Pferd tut, was du sagst. Sie bedeutet, dass dein Pferd sich bei dir sicher fühlt – so sicher, dass es freiwillig bei dir sein möchte.

Ähnlich wie bei uns Menschen, erfolgt der Beziehungsaufbau zwischen Pferd und Mensch nicht von heute auf morgen, sondern Schritt für Schritt. Emily hat sich dabei an der Bedürfnispyramide von Maslow orientiert und ich finde den Blick darauf sehr wertvoll. 

Die drei Stufen echter Pferd-Mensch-Beziehung

1. Physische Sicherheit – die unersetzbare Basis

Den Pferden geht es wie uns: Wenn wir uns nicht physisch in Sicherheit fühlen, können wir uns auch in keine Beziehung hinein entspannen.  

Was das bedeutet:
Dein Pferd muss spüren, dass von dir keine Gefahr ausgeht. Dass es sich grundlegend in Sicherheit ist und sich körperlich wohlfühlen kann, ohne ständig in Habachtstellung zu sein.

Warum das oft missachtet wird:
Viele Trainingsmethoden arbeiten mit Druck und Release. Pferde gehorchen dann, weil sie gelernt haben, Druck zu vermeiden – nicht, weil sie sich sicher fühlen. Der Druck sorgt aber naturgemäß für Stress, und je mehr Druck, desto mehr Stress natürlich. Der Grad, indem wir zwar Druck aufbauen, zugleich aber weiterhin ein Gefühl von Sicherheit für das Pferd gewährleisten können, ist also schmal – und unbedingt beachtenswert. Zumal das Stressempfinden bei Pferden wie bei uns Menschen sehr individuell ist. 

Was wir häufig erleben bei Pferden, die unter zu viel Druck/Stress ausgebildet wurden und werden, ist, dass diese zwar äußerlich „brav“ erscheinen, innerlich aber abschalten, sich also "totstellen". Flucht und Kampf sind/waren keine Option und ihr Nervensystem weiß sich nicht anders zu helfen. Das führt dazu, dass wir zwar ein Pferd haben, das „funktioniert“, das aber nicht wirklich bei uns ist – und uns auch nicht wirklich vertraut. Dies kann natürlich zum Einen ein großes Sicherheitsrisiko sein, zum anderen fehlt die Grundlage für die tiefe Beziehung zwischen Pferd und Mensch, die so viele Menschen sich wünschen.

Reflexion: 

Hier darfst du dich einmal ehrlich fragen: In welchen Situationen bist du dir sicher, dass dein Pferd sich sicher und wohlfühlt bei dem, was ihr tut? Und wo vielleicht nicht?

2. Psychologische Sicherheit – Vertrauen durch Erfahrung

Wenn dein Pferd sich körperlich sicher fühlt (Stufe 1) und es dich und eure Verbindung als zuverlässig und wohltuend erlebt, kann sich psychologische Sicherheit aufbauen.
Hier entsteht Vertrauen, das tiefer geht als jedes Training.

Was das bedeutet:

  • Dein Pferd versteht deine Signale und du seine.

  • Ihr entwickelt kleine Rituale, die Sicherheit geben.

  • Es entsteht eine Beziehung, in der dein Pferd sich entspannt zeigen kann, wie es ist.

Warum das oft missachtet wird:
Viele wollen „schnell ans Ziel“. Doch Vertrauen braucht Zeit, geteilte Räume und Freiwilligkeit – keine Methoden.

Reflexion:
Wie oft zwingst du Abläufe durch, statt dein Pferd zu fragen, ob es bereit ist?
Es ist keine Schande, wenn du dich dabei gerade erwischt – die meisten von uns haben gelernt, sich selbst sehr unter Druck zu setzen und das Pferd ebenso. Es ist wertvoll, wenn du das hinterfragst. Es geht nicht darum, dich für Vergangenes zu schämen, sondern mit mehr Wissen, Sensibilität und Empathie nach vorne zu gehen.

3. Tiefe Beziehung & Freundschaft – der heilige Gral

Ist eine physische und eine psychologische Sicherheit über gemeinsame Rituale, Prozesse, geteilte (Zeit-)Räume erfolgt, öffnet sich die Möglichkeit für die dritte Stufe und das, was vielfach schon früher gesucht und interpretiert wird: Eine echte Freundschaft zwischen dir und deinem Pferd.

Was das bedeutet:
Dein Pferd sucht bei Unsicherheit aktiv deine Nähe. Es sieht dich als sicheren Hafen, als jemanden, der seine Bedürfnisse sieht und achtet, nicht als jemanden, der es antreibt oder korrigiert. 

Warum das selten erreicht wird:
Viele Beziehungen bleiben auf Stufe 2 stehen, weil sie primär auf Training beruhen, das heißt im Kern transaktional bleiben. Tiefe Freundschaft entsteht nur, wenn du deinem Pferd immer wieder zeigst, dass es sich fallenlassen darf – ohne Konsequenzen, ohne Anforderungen.

Reflexion:
Kommt dein Pferd bei Stress zu dir oder geht es weg?

Die Missstände und Missverständnisse in der Pferdewelt

Emily beschreibt in ihrem Paper auch die Schattenseiten vieler Praktiken:

  • Pferde werden instrumentalisiert, nicht als Partner gesehen.

  • Vertrauen wird eingefordert, nicht erarbeitet.

  • Pferde sollen „funktionieren“, statt als eigenständige, fühlende Wesen wahrgenommen zu werden.

Das Problem: Auch in der Therapie oder Bodenarbeit wird oft mit Techniken gearbeitet, die den Anschein von Beziehung geben, aber keine echte Wahlfreiheit lassen. Pferde lernen, was wir wollen, aber nicht, dass sie sicher sind.

Was bedeutet das für dich und dein Pferd?

Folgende Tipps kannst du für dich und dein Pferd mitnehmen, um eure Beziehung auf immer stabilere Füße zu stellen:

  • Sicherheit vor Training. Immer.
  • Wahlfreiheit vor Funktion.
  • Langsam ist schnell. Beziehung ist kein Ziel, sondern ein Weg.
  • Verbindung bedeutet, gemeinsam atmen zu können – ohne etwas voneinander zu wollen.

Und: Wahlfreiheit bedeutet nicht nur, dass dein Pferd entscheiden darf, ob es heute mit dir arbeitet oder nicht. Es bedeutet auch, dass du lernst, seine kleinen „Neins“ zu lesen: ein Wegdrehen, ein Anspannen, ein Zögern. All das sind wertvolle Antworten, die dir zeigen, was es gerade braucht, um sich sicher zu fühlen.

Danke fürs Lesen dieses Texts. Ihr macht das schon. Und wenn du Fragen hast, unsicher bist, wo du in der Beziehung zu deinem Pferd stehst und wie du sie weiter vertiefen kannst, meld dich jederzeit gern!

Über Dr. Emily Kieson

Emily ist Forscherin, Pädagogin und Pferdefrau durch und durch. Ihre Arbeit, u.a. durch ihre eigenes Forschungsinstitut Equine International, revolutioniert den Blick auf Pferd-Mensch-Beziehung, weil sie zeigt: Verbindung ist keine Methode, sondern ein Miteinander auf Augenhöhe. Derzeit planen Emily und ich neue gemeinsame Seminare rund um das gemeinsame Wohlbefinden von Pferd und Mensch auch in Deutschland.

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